I. Traditionelle Dachformen
Widmen wir uns zunächst den Dachformen und der Frage, welche Dachkonstruktionen hierzulande beliebt sind. Schließen Sie dafür die Augen und stellen Sie sich ein gewöhnliches Einfamilienhaus vor. Wie sieht das Dach aus? Wenn Sie zwei schräg gestellte Flächen, die oben zusammenlaufen, sehen, geht es Ihnen wie den meisten. Das sogenannte Satteldach ist die beliebteste Dachform für das Eigenheim.
Traditionelle Dächer im Norden mit Kapitänsgiebel
Eine regionale Besonderheit im norddeutschen Raum ist der Kapitänsgiebel. Der aus der Fassade herausspringende Gebäudeteil mit eigenem Dach kann über zwei Stockwerke reichen und dient im Erdgeschoss häufig als Eingangsbereich. Zusammen mit einer Eindeckung aus Schilfrohr entsteht das typische Reetdachhaus. Häufig findet man bei Reetdächern als zusätzliches Element sogenannte Fledermausgauben, eine geschwungene Form der Dachgaube.
Das Walmdach: eine Grundform, viele Varianten
Neben dem Satteldach zählt vor allem das Walmdach zu den traditionellen Dächern in Deutschland, was die Form angeht. Das Walmdach findet sich oft bei historischen Bauernhäusern und Gutshöfen. Diese Dachform ist aufwendiger konstruiert und damit teurer, verkraftet Wind und Wetter jedoch besser. Grund dafür sind die vier Dachflächen, die in einem Dachfirst münden. Sturm und Regen haben weniger Angriffsfläche als beim Satteldach und machen das Haus widerstandsfähiger.
Das Schwarzwaldhaus
Ein Beispiel für ein Gebäude mit traditionellem Walmdach ist das Schwarzwaldhaus. Dabei handelt es sich um ein Wohnstallhaus, das Urlauber beim Besuch des mittleren und südlichen Schwarzwalds entdecken können. Typisch für das Schwarzwaldhaus ist das weit hinuntergezogene Walmdach, das große Schneemengen und Wind aushält. Wurden die Gebäude früher mit Stroh oder Holzschindeln eingedeckt, greifen die Dachdecker heute eher zu Ziegeln.
II. Traditionelle Bedachungsmaterialien
Kommen wir von den Dachformen zu den Bedachungsmaterialien, denn auch bei der Eindeckung zeigen sich traditionelle Unterschiede.
Weit verbreitet ist der Biberschwanzziegel, vor allem in Süd- und Ostdeutschland. Er ist leicht an seiner länglichen, abgerundeten Form zu erkennen, die an einen Biberschwanz erinnert, siehe unten in der Bildgalerie. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen deckt man dagegen überwiegend mit Hohlpfannenziegeln. Diese geschwungene Ziegelform hat in der Mitte eine muldenartige Vertiefung.
Krempziegel aus Ton in Nordhessen
In der Mitte Deutschlands geht es auf Dächern noch einmal anders zu. Im nordhessischen Raum ist häufig der Krempziegel zu sehen, eine Ziegelform, die man auf vielen älteren Dächern entdeckt. Dieser Flachziegel aus Ton hat an der Seite eine konisch zulaufende Krempe, die beim Eindecken über eine kleine Aufwölbung des Nachbarziegels greift.
Norddeutsche Reetdächer: decken mit Schilfrohr
Eine ganz andere Form traditioneller Dächer herrscht in der norddeutschen Küstenregion vor: die schon erwähnten Bedachungen aus Reet. Das Schilfrohr gehört in der sumpfigen Landschaft Norddeutschlands zum heimischen Material. So ist es kein Wunder, dass Reet bis heute als Bedachungsmaterial dient und in einigen Regionen Bauauflagen bestehen, Häuser nur noch mit Reet einzudecken.
Schieferdächer und -fassaden kommen wieder
Ein ebenso schönes Material ist Schiefer, mit dem man traditionell sowohl Dächer als auch Fassaden versieht. Ursprünglich befanden sich Schieferhäuser nur in Regionen, in denen das Material vorkommt und sich leicht abbauen lässt. Dazu gehören etwa das Rheinische Schiefergebirge inklusive der Eifel oder das Erzgebirge, auch Teile Nord- und Mittelhessens, Sachsen-Anhalts und Niedersachsens zählen dazu. Nach dem Zweiten Weltkrieg verwendeten die Deutschen Schiefer kaum noch. Heute erlebt das Material eine Renaissance, wenngleich in einer Nische.
Historisches Fachwerk: der Alte Flecken in Freudenberg
Ein besonders schönes Beispiel sind die Schieferdächer der Fachwerkhäuser in Freudenberg bei Siegen, siehe oben. Der historische Stadtkern, der sogenannte Alte Flecken, gilt als Baudenkmal von internationaler Bedeutung und bietet eine einzigartige Giebelparade dar. Wenig überraschend, dass die schwarz-weißen Fachwerkhäuser aus dem 17. Jahrhundert jedes Jahr zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland in die Stadt in Südwestfalen locken.
Traditionelle Dächer aus Blech: Zink, Kupfer und Co.
Zu den traditionellen Bedachungsmaterialien zählen auch Metalle wie Kupfer und Zink. Ein bekanntes Beispiel sind die Kupferdächer von Kirchen beziehungsweise Kirchtürmen. Auf beiden Metallen bildet sich mit der Zeit eine Korrosionsschicht, die Patina, was zu einer Veränderung der Farbe führt. Bei der grünlichen Kupferpatina ist im Alltag daher häufig vom Grünspan die Rede.
III. Aktuelle Trends: Pult-, Flach- und Gründach
Neben den traditionellen Dächern von Sattel- und Walmdach gibt es zahlreiche weitere auf dem Architekturmarkt. Beispielsweise das Flachdach, das ursprünglich aus warmen, regenärmeren Klimazonen wie dem Mittelmeer stammt. Schon in den 1960er und 1970er Jahren bauten die Deutschen Bungalows mit Flachdach. Allerdings mit mangelnder Abdichtung, was ihm einen schlechten Ruf bescherte. Heute ist das Flachdach in Deutschland überall beliebt, auch wenn sein Aussehen eher in urbane Regionen passt.
Beliebt ist auch das Pultdach, ein enger Verwandter des Flachdaches. Das Pultdach besitzt ebenfalls nur eine Dachfläche. Allerdings neigt sich das Pultdach zwischen zwei unterschiedlich hohen Wänden. Zur Wetterseite ausgerichtet soll es Regen und Schnee abhalten. Durch seine Form bietet das Pultdach optimale Bedingungen für den Einsatz von Solarmodulen.
Wer mit dem Gedanken spielt, sich ein Stück Natur auf das Haus zu holen, kann in ein Gründach investieren. Flache oder leicht geneigte Dachflächen erhalten eine Drainage- und Substratschicht, die Insekten neuen Lebensraum schenkt. Dazu kühlt das grüne Dach im Sommer die darunterliegenden Wohnräume und sorgt im Winter für eine Wärmedämmung.
Traditionelle Dächer: unbedingt die Bebauungspläne beachten!
Fassen wir zusammen: Die regionalen Unterschiede bei den traditionellen Dächern resultieren vor allem aus den örtlichen Witterungsbedingungen und Materialien. Heutzutage legen Städte und Gemeinden großen Wert auf das lokale Erscheinungsbild – zum Beispiel über ihre Bebauungspläne, in denen sie oft detailliert festhalten, welche Dachformen, Materialien, Farben oder Neigungen erlaubt sind.
Ziehen Sie als Bauherr deshalb immer die aktuellen Bebauungspläne zurate, damit Sie am Ende nicht mit einem Dach dastehen, das nicht bloß mit der Tradition bricht, sondern sogar unzulässig ist.