Die Auftragsbücher der Dachdecker sind mindestens bis Mitte 2022 prall gefüllt. Dennoch hat sich die Stimmung in den Betrieben spätestens seit dem Ukraine-Krieg durch Materialknappheit und hohe Preissteigerungen verschlechtert.
Wie sich der Gesamtumsatz in diesem Jahr entwickeln wird, ist angesichts von ersten Verzögerungen und Stopps auf Baustellen kaum seriös vorauszusagen. Für das Jahr 2022 ist damit zu rechnen, dass aufgrund der Preissteigerungen der Umsatz im Dachdecker-Handwerk im Vergleich zu 2021 noch einmal leicht aufwärtsgeht. Die Stimmung der Betriebsinhaber hat sich jedoch mit dem Ukraine-Krieg, den damit verbundenen Preiserhöhungen und weiteren Unsicherheiten wie beispielsweise steigenden Zinsen eingetrübt.
Gesamtumsatz der Dachdecker 2021: 11,2 Milliarden Euro
Das Dachdecker-Handwerk erzielte 2021 einen Gesamtumsatz von 11,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2020 bedeutet das einen Rückgang von einem Prozent oder 113 Millionen Euro. Angesichts von Preissteigerungen bei wichtigen Baustoffen von durchschnittlich knapp 20 Prozent und einem Materialkostenanteil von etwa 40 Prozent ist der Gesamtumsatz der Betriebe allerdings real um rund neun Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen.

Preissteigerungen an Kunden weitergegeben
Die Ergebnisse fielen damit auf das Niveau von vor 2018 zurück, obwohl die Betriebe nach Ansicht von Felix Fink, Bereichsleiter Wirtschaft und Unternehmensführung beim Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), weitgehend die Preissteigerungen an ihre Kunden weitergeben konnten. Der Abschwung 2021 überrascht ihn nicht. „Wegen der damals reduzierten Mehrwertsteuer wurden viele Aufträge noch im November und Dezember 2020 abgerechnet. Das hat die Umsätze im Januar und Februar 2021 einbrechen lassen“, erklärt Fink. Zudem sei in den ersten Monaten 2021 im Vergleich zum Vorjahr das Wetter viel schlechter gewesen, was sich mit den Regenperioden im Juli inklusive der Flutkatastrophe wiederholt habe.

Eingetrübte Stimmung wegen Materialmangel und Preissteigerungen
ZVDH-Hauptgeschäftsführer Ulrich Marx kommentiert: „Die Stimmung der Betriebsinhaber hat sich im Laufe des Jahres verständlicherweise weiter eingetrübt: Hier spielen vor allem die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs eine große Rolle: Die schon im letzten Jahr spürbare Verknappung wichtiger Baumaterialien hat sich weiter verschärft. Dazu machen die erheblichen Preissteigerungen sowie Unsicherheiten bezüglich der gesamtwirtschaftlichen Lage unseren Betrieben zu schaffen.“
Bauaufträge werden wieder abgesagt
Durch die aktuell drastisch gestiegenen Preise bei Energie, Kraftstoffen und nahezu der gesamten Produktpalette im Bereich Außenwand/Dämmung, Dach- und Holzbau, Türen und Fenster, Bauchemie sowie Werkzeug sei die seit vier Jahren stetig positive Entwicklung in Gefahr. Marx erklärt: „Auch bei den Auftraggebern sind die finanziellen Mittel begrenzt. So kommen bereits angebahnte Bauverträge vermehrt nicht mehr zum Abschluss oder zur Umsetzung.“

Bedachungshandel übernimmt Pufferfunktion
Außerdem wird es laut Marx für die Betriebe angesichts nie dagewesener Preisschwankungen fast unmöglich, Angebote realistisch zu kalkulieren. Materialengpässe und schwindende Lagerbestände erschwerten die Arbeit auf den Baustellen. Und Felix Fink fügt hinzu, dass bereits erste Betriebe wegen der Verzögerungen durch Materialengpässe Kurzarbeit anmelden mussten. In diesem Zusammenhang sieht er den Bedachungshandel in einer wichtigen Pufferfunktion. Gerade auch die Einkaufsgenossenschaften der Dachdecker würden mit ihrer Materialvergabe ausschließlich gegen projektierte Auftragsbestätigungen die Grundversorgung aufrechterhalten: Kontingente statt Hamsterkäufe.
Erreichung der Klimaziele nur mit energetischer Sanierung
Die aktuelle Material- und Preissituation hat auch fatale Folgen für die Klimawende. „Der Politik muss klar sein: Wird weniger saniert, ist dies eine ernste Gefahr für das Erreichen der Klimaziele. Denn eine deutliche Zunahme der Maßnahmen bei der energetischen Gebäudesanierung ist dafür unabdingbar“, erklärt Marx. Und auch auf dem Markt der Solarmodule zeichneten sich Lieferhemmnisse und Preissteigerungen ab. „Unsere Dachdecker berichten, teilweise mehr als zwölf Monate auf PV-Anlagen zu warten.“ Damit ist auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien gefährdet und damit der Weg hin zu einer weitgehenden Unabhängigkeit von russischen Gasimporten.

Alle drei Bausparten betroffen
Betroffen seien alle drei Bausparten. Der Wohnungsbau, seit mehr als einem Jahrzehnt Impulsgeber der Bauwirtschaft, verliere laut Marx an Schwung. Dazu habe auch die sich schnell ändernde Förderkulisse seitens des Bundes beitragen, die immer noch für Unsicherheiten sorge. So liege zum Beispiel ein angekündigtes Programm „Klimafreundliches Bauen“, das ab Januar 2023 starten solle, immer noch nicht vor. „Auch wenn die Auftragspolster die schwierigen Zeiten in der Bauwirtschaft noch eine Weile aufhalten können, so hängt viel davon ab, wie lange der Ukraine-Krieg und deren Folgewirkungen andauern werden, macht Marx abschließend deutlich.

Eine erfreuliche Nachricht zum Schluss: Die Insolvenzquote im Dachdeckerhandwerk liegt 2021 mit 91 Insolvenzeröffnungsverfahren (0,6 Prozent) auf einem äußerst niedrigen Niveau, das bereits seit 2019 anhält.
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