Dachdecker baut Radrennbahnen in Trinidad und Jakarta

Dachdecker baut Radrennbahnen in Trinidad und Jakarta

6. April 2021

 · Harald Friedrich

Handwerk ist schon seit Generationen Familiensache bei den Sikoras im sauerländischen Kierspe. Der Großvater von Etienne Sikora hatte einst einen Zimmererbetrieb gegründet, der vom Vater fortgeführt wurde. Fehlte nur noch ein gelernter Dachdecker, um das Portfolio des Betriebs erweitern zu können. Soweit mal zum Plan.

Abenteuerlust treibt den Dachdecker auf die Walz

Gesagt, getan, gelernt: Etienne Sikora absolvierte seine Ausbildung von 2005 bis 2008 in einem Dachdeckerbetrieb und arbeitete weitere drei Jahre als Geselle. Doch anstatt zurück in den Familienbetrieb ging er – ganz traditionell – erst einmal auf die Walz. Sein Fazit nach vier Jahren: „Das ist nichts für Pauschaltouristen-Typen.“ Denn oft käme man abends nicht an dem Ziel an, das man sich morgens gesteckt hätte. Ein Hauch von Abenteuerlust gehört eben dazu. Die Walz – ist das nicht von gestern? „Von gestern ganz sicher nicht – aber leider ist es selten geworden, auf die Walz zu gehen“, so Sikora.

Bild von Etienne Sikora in Kluft auf einem Dachboden
Als Dachdecker hat Etienne Sikora erst normal in einem Betrieb seine Ausbildung gemacht und dann einige Jahre auf der Walz in verschiedenen Ländern gelernt.

Wanderjahre bringen kulturelle und menschliche Kontakte

Und wie reagieren die Menschen dann auf einen Wandergesellen heute? „Erst mal sind sie etwas erstaunt – allein schon wegen der Kluft“, erinnert sich Etienne Sikora. „Wenn du dann ins Quatschen kommst und mal fragst, ob es denn die Möglichkeit zur reinen Übernachtung gibt, kommt fast bei jedem Zweiten Misstrauen oder sogar Ablehnung.“  Auf jeden Fall waren die vier Wanderjahre eine Erfahrung, die er nicht mehr missen möchte: „Auch dafür musst du einfach brennen – wie überhaupt fürs Handwerk.“ Als Belohnung gab es nicht nur viele Kontakte, kulturelle und menschliche Bereicherungen, sondern auch fachlichen Input, der im normalen Dachdeckerleben nur selten vermittelt wird.

Wanderroute von Deutschland in die Welt hinaus

Seine Wanderroute beschränkte sich nicht auf Deutschland und die Nachbarländer. Auch Litauen, Kuba und Afrika hatte Etienne Sikora in dieser Zeit unter den Sohlen seiner Arbeitsschuhe erwandert und erlebt. Sein markantestes Erlebnis aus dieser Zeit waren eigentlich gleich zwei Erlebnisse: „In dem Augenblick, in dem ich mich am Ortschild von Kierspe von meinen Großeltern verabschiedet habe und nicht wusste, ob ich sie wiedersehen würde – und vier Jahre später die Begrüßung am gleichen Ortsschild.“

Bild von Etienne Sikora mit Meisterbrief
Den Meisterbrief machte Etienne Sikora dann an der Handwerkskammer Köln.

Meisterschule in Köln und Abschied aus dem Sauerland

Nach der Walz folgte die Dachdecker-Meisterschule der Handwerkskammer in Köln. Mit dem „Großen Befähigungsnachweis“ in der Tasche ging es nun aber nicht back to the roots ins Sauerland, sondern der Jungmeister überquerte den Rhein und arbeitet bis heute als angestellter Meister in einem Dachdeckerbetrieb. Und welche Arbeiten macht er am liebsten? „Wenn du aus dem Sauerland kommst, ist natürlich die Königsdisziplin Schiefer mein Favorit.“ Sein zweites Lieblings-Arbeitsfeld ist die Altbausanierung.

Bild von Etienne Sikora mit seinem Meisterstück
Etienne Sikora und sein Meisterstück.

Heiß auf Sport und vor allem Radfahren

Heiß auf das Dach zu sein, ist die eine Seite des Lebens von Etienne Sikora. Daneben ist der zweifache Vater aber schon immer heiß auf Sport gewesen – und ganz heiß aufs Fahrrad. „In einer 16.000-Seelen-Gemeinde verlässt du dich vor dem Führerschein nicht auf den Bus, sondern auf dein Fahrrad“, erinnert er sich schmunzelnd. Aus der Not wurde ein Hobby – vom Normalo-Velo über Mountainbike und BMX-Rad zum Rennrad führte Sikoras sportliche Karriere.

Bild von Etienne Sikora auf Radrennbahn-Baustelle
Das sind schon Dimensionen: Etienne Sikora vor dem Rohbau einer Kurve für ein Velodrome in Jakarta.

Velodrome weltweit auf Montage mit gebaut

Irgendwann entstand der Kontakt zu einem Betrieb, der Radrennbahnen baut. Und mit diesem Betrieb ging er zeitweise weltweit auf Montage. Bei Radrennbahnen in Berlin, Frankreich, Trinidad und Jakarta hatte Etienne Sikora seitdem seine Hände im Spiel. Dort entstanden auch Kontakte zu Profi-Fahrern, die testweise auf „seinen“ Bahnen die ersten Runden drehten. Sie gaben ihr Feedback zum Zustand der Ovale: „Hier knarzt noch was, da vibriert es noch.“  So wurde der Dachdecker Sikora in der Freizeit immer mehr zum Radrennfahrer Sikora. „Nackte Maschine, ein Gang, starrer Antrieb – das ist Fahrrad pur.“

Bild von Baustelle einer Radrennbahn in Indonesien
Was für ein Holzoval: entstehende Radrennbahn in Jakarta.

Wen wundert es da, dass schon bald eine solche Rennmaschine im Zimmer des jungen Dachdeckers stand. Und es folgten Rennräder für die Straße. Auch wenn er heute mit seinen 32 Jahren zu alt ist für eine Profi-Karriere auf zwei Rädern – hätte die Pandemie nicht den Sport so ausgebremst, wäre Sikora dennoch Lizenzfahrer geworden.

Zehn Stunden pro Woche auf dem Rennsattel

Den Spaß am Sport auf zwei Rädern lässt er sich dennoch nicht nehmen. Auch nicht als angestellter Meister in Düsseldorf mit einem Arbeitstag, der nicht nach acht Stunden zu Ende ist. „Wenn du heiß auf deinen Sport bist, musst du dir die Zeit dafür nehmen.“ Bis zu zehn Stunden pro Woche verbringt Etienne Sikora auf dem Rennsattel. „Wenn meine Kids abends im Bett sind, bin ich nur wenig später auf dem Rad.“ Auch seine Lebensgefährtin tritt gerne gemeinsam mit ihm in die Pedale, wenn die Kinder mal ein paar Stunden bei Oma und Opa sind.

Bild von Etienne Sikora beim Radrennen
Zehn Stunden die Woche sitzt Etienne Sikora aktuell selbst auf dem Sattel.

Wunschziel: eigener Betrieb in Rumänien

Sikoras Ziele abseits von Radrennbahnen und Radrennen auf der Straße? „Vielleicht doch mal ein eigener Betrieb“, meint er nach kurzer Überlegung. Und der muss nicht hier in Deutschland sein. „Rumänien wäre mein Favorit – da wird im Siebenbürger Sachsenland das Handwerk noch wirklich gelebt“, schwärmt er voller Begeisterung. „Wenn du hier für etwas einen Restaurator brauchst, macht das dort alles der Handwerker selbst mit viel Herzblut und Erfahrung.“

Bild von Etienne Sikora(rechts) im Büro mit einem Kollegen
Aktuell ist Etienne Sikora (rechts) sehr zufrieden mit seinem Job als angestellter Meister.

Glücklich in seinem Leben angekommen

Doch damit ist Etienne Sikoras Wunschzettel noch nicht am Ende: „Was wir hier brauchen, sind junge Menschen, die noch wirklich für das Handwerk brennen und nicht nur ins Handwerk gehen, weil das mit dem Abitur nicht klappt.“  Ansonsten ist Etienne in der glücklichen Lage, wunschlos glücklich zu sein mit seinem Leben. Irgendwie toll und beneidenswert, wenn jemand mit 32 Jahren sagen kann: „Ich bin angekommen.“

Artikel jetzt teilen!

Weitere Artikel

Newsletter-Anmeldung

DACH-Ticker

Positiver Trend im Dachdeckerhandwerk: Steigerung der Azubizahlen

Die aktuellen Zahlen zeigen einen erfreulichen Anstieg der Azubizahlen im Dachdeckerhandwerk. Derzeit erlernen 8490 junge Menschen diesen Beruf, was einem leichten Anstieg um 0,75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mit 8427 Auszubildenden entspricht. Rolf Fuhrmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), betont die positive Entwicklung trotz der allgemeinen Ausbildungssituation und intensiver Konkurrenz mit anderen Berufen.

7. Februar 2024

Holzhandel erzielt im Jahr 2023 deutlich weniger Umsatz

Das schwierige wirtschaftliche Umfeld verbunden mit einer sehr schwachen Baukonjunktur sorgten beim deutschen Holzhandel 2023 insgesamt für einen Umsatzrückgang von 15 Prozent. Teilweise ist dieser Umsatzrückgang aber auch weiter nachgebenden Preisen geschuldet. Die Jahresauswertung des monatlichen GD Holz Betriebsvergleiches zeigt deutlich, dass die schwachen Absatzmärkte im vergangenen Jahr voll auf die Umsatzentwicklung der Branche durchgeschlagen haben. Alle wichtigen Sortimente im Holzhandel sind von diesem Umsatzrückgang betroffen, am stärksten Schnittholz mit einem Umsatzrückgang von 24 Prozent.

2. Februar 2024

ifo Institut: Rentenalter an steigende Lebenserwartung koppeln

Das ifo Institut Dresden hat sich dafür ausgesprochen, das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. „Einige unserer Nachbarländer haben das bereits beschlossen, so die Niederlande, Schweden und Finnland“, sagt ifo-Rentenexperte Joachim Ragnitz. In den Niederlanden werde folgende Regel angewendet: Wenn die Menschen drei Jahre länger leben, müssen sie zwei Jahre länger arbeiten und bekommen ein Jahr länger Rente. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen würde damit auch nach dem Jahr 2040 stabil bei rund 40 Prozent liegen und nicht auf fast 50 Prozent steigen, wie derzeit prognostiziert. 

16. Januar 2024

Beschäftigung auf Rekordniveau: Arbeitsmarkt zeigt sich 2023 widerstandsfähig

Im Dezember 2023 waren rund 2,6 Millionen Menschen arbeitslos. Im Vergleich zum November stieg die Arbeitslosenquote saisonbedingt um 0,1 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent. Staatssekretärin Leonie Gebers, Bundesministerium für Arbeit und Soziales: „Erfreulich ist, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit 35,1 Millionen im Oktober erneut einen Höchststand erreicht hat und die Nachfrage nach neuen MitarbeiterInnen im Dezember trotz weiterhin schwacher Konjunktur wieder leicht gestiegen ist. Der Arbeitsmarkt erweist sich als verlässlich und widerstandsfähig.“

8. Januar 2024

Dachdecker gilt als am wenigsten durch Künstliche Intelligenz gefährdeter Beruf

Die meisten Büroberufe halten viele Menschen nach einer repräsentativen Umfrage der Marktforscher von YouGov für akut gefährdet, durch Künstliche Intelligenz (KI) ersetzt zu werden. Besser sind die Zukunftsaussichten für die handwerklich geprägten Berufe, bei denen sich die menschliche Komponente nur sehr schwer ersetzen lässt. Den Beruf des Schreiners halten 64 Prozent der Befragten für wenig oder gar nicht gefährdet, 65 Prozent den Beruf Maler und für den Beruf Dachdecker sehen gar 71 Prozent der Befragten wenig oder gar keine Gefahr.

21. Dezember 2023

Mayener Meisterwoche 2024 mit aktuellen Themen

In Mayen werden vom 24.-26. Januar 2024 wieder Tür und Tor für die Mayener Meisterwoche (MMW) geöffnet. Das Programm lässt keine Wünsche offen und beleuchtet die aktuellen Themen der Zeit: Neben wichtigen Neuerungen im Fachregelwerk geht es um Schadensfälle bei PV-Anlagen, die Möglichkeiten und Grenzen einer 4-Tage-Woche in Dachdeckerbetrieben, aber auch Cybersicherheit und KI im Handwerk versprechen interessante Einsichten. Ein Blick in das Programm lohnt auf jeden Fall.

15. Dezember 2023

Neues Führungs-Duo bei Velux Deutschland

Mit sofortiger Wirkung übernehmen Silke Stehr als Sprecherin der Geschäftsführung und Matthias Mager als Geschäftsführer Vertrieb die Leitung von Velux Deutschland. Jacob Madsen, bisheriger Geschäftsführer, wechselt als Executive Vice President Region North Europe in das Top-Management der Velux Gruppe. „Silke und Matthias haben viel Markt- und Branchen-Erfahrung und gestalten Velux schon lange erfolgreich mit,“ erklärt Madsen. „Gemeinsam werden wir unser Qualitätsversprechen, die enge Zusammenarbeit mit den Partnerbetrieben im Fachhandel und Handwerk und die starke Position des Unternehmens weiter ausbauen.“

4. Dezember 2023

Auftragszahlen im Wohnungsbau gehen weiter abwärts

„Seit mehr als einem Jahr verzeichnen wir nun schon negative Zahlen bei Baugenehmigungen und Auftragseingängen im Wohnungsbau. Von Januar bis September wurden fast 77.000 Wohneinheiten weniger genehmigt als im Vorjahreszeitraum. Die Order sind im September um real 15 Prozent zurückgegangen“, so Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe. Der Der Wohnungsbau brauche neben dem beim Kanzlergipfel verabschiedeten 14-Punkte-Plan kurzfristige Hilfe, sonst werde der Einbruch noch dramatischer.

24. November 2023

ifo Institut: Auftragsstornierungen im Wohnungsbau erreichen neuen Höchststand  

Die Stornierungswelle im Wohnungsbau reißt nicht ab. Im Oktober meldeten 22,2 Prozent der Unternehmen gestrichene Projekte, im Vormonat waren es 21,4 Prozent. „Es wird immer schlimmer, mehr und mehr Projekte scheitern am gestiegenen Zinsniveau und den teuren Baupreisen“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Umfragen. „Das Neugeschäft im Wohnungsbau ist weiterhin sehr schwach, die Auftragsbestände der Firmen schmelzen ab.“ 

15. November 2023

ifo Institut: Wirtschaftsleistung 2023 schrumpft um 0,4 Prozent

Das ifo Institut hat seine Konjunkturprognose bestätigt. Demnach wird die deutsche Wirtschaftsleistung 2023 um 0,4 Prozent schrumpfen. Im kommenden Jahr wird sie dann um 1,4 Prozent steigen, aber 0,1 Prozentpunkte weniger als bislang gedacht. Im Jahre 2025 wird das Wachstum 1,2 Prozent betragen. „Anders als bislang erwartet dürfte die Erholung in der zweiten Jahreshälfte 2023 ausbleiben. Die Abkühlung setzt sich fort, in nahezu allen Branchen steht die Tendenz auf Flaute“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. 

8. September 2023